Tag 5: Grey –> Paine Grande
Da heute wieder eine eher kurze Etappe ansteht, beginnen wir den Tag gemütlich. Wir haben keine Eile, loszukommen, ganz im Gegensatz zu den vielen Wanderern, die heute ihre Tour auf dem W-Trek starten und eine längere Etappe vor sich haben. Das Grey Camp ist einer der Ausgangspunkte für den W-Trek, dem bekannteren Trek im Nationalpark, und da das W Teil des O’s ist, wandeln auch wir ab heute auf den Pfaden des W-Treks. Bis wir uns nach dem Frühstück langsam fertig machen, hat sich das Camp schon sehr geleert. Nur unsere Wanderkollegen, die ebenfalls den O-Trek machen und gestern über den Pass kamen, sind noch da. Sie gehen es ähnlich ruhig an wie wir. Der Weg führt ähnlich wie gestern an der Bergflanke entlang, mit dem Lago Grey zu unserer Rechten und dem Grey-Gletscher hinter uns. Viele Aussichtspunkte reihen sich entlang des Weges, einer schöner als der nächste. Ebensoviele Menschen sind dort unterwegs, allein, in Kleingruppen und vermehrt auch in größeren Gruppen.
Wir genießen nochmal die Aussicht auf den Grey-Gletscher in der Ferne und erinnern uns, wie wir gestern ganz dort hinten über den Pass kamen. Dann biegt der Weg nach links ab und der Gletscher, der uns nun knapp 24 Stunden begleitet hat, verschwindet aus unserem Sichtfeld. Wir kommen an einer wunderschönen Lagune vorbei. Bei nahezu windstillen Bedingungen ist das Wasser spiegelglatt.
Den letzten Kilometer geht es durch ein Tal, an dessen Ende der Lago Pehoé und das Camp Paine Grande – unser Ziel für heute – liegen. Kurz bevor wir dort ankommen, beginnt es zu tröpfeln. Was wir da noch nicht wissen, ist, dass der Regen über die nächsten 40 Stunden nicht mehr aufhören und uns noch ganz schön zu schaffen machen wird.
Im Camp bekommen wir ein Update zum Wetterbericht. Zwar wussten wir, dass für den nächsten Tag Regen und Sturm angesagt waren, doch jetzt wurde die Vorhersage im Hinblick auf Regenmenge und Windgeschwindigkeit nochmal nach oben korrigiert. Böen bis 130 km/h soll es geben. Wir fragen die Leute im Camp, wie das ein Zelt aushalten soll. Doch die Campangestellten sind entspannt. Wir sollen einfach nahe des Hügels bleiben und unsere Zelte zwischen andere Zelte stellen. Und meistens kommt es eh nicht so schlimm wie vorhergesagt. Besorgt scheint hier keiner zu sein und wir sind uns unsicher, ob uns das beruhigen soll oder eher noch nervöser macht. Wir entscheiden uns für ersteres, bauen unsere Zelte möglichst windgeschützt auf und machen dann erst mal Mittagessen. Am Nachmittag erkunden wir die nähere Umgebung. Immer mal wieder ragt das Paine-Grande-Massiv durch die Wolken und mit dem türkisfarbenen Wasser des Lago Pehoé gibt das ein tolles Bild ab. Später bekommen wir noch Besuch von einem Guanako, das sich nahe des Camps eine Stärkung holt.
Am späten Nachmittag wird der Regen dann stärker, ebenso der Wind. Andere Wanderer überlegen, die Tour abzubrechen, da hier einer der Punkte ist, wo man mit dem Boot hin bzw. weg kommt und so Anschluss zur Straße hat. Mittlerweile ist auch die Meldung durchgedrungen, dass der Weg zum Britanico-Aussichtspunkt aufgrund des schlechten Wetters gesperrt ist. Das wäre unser Plan für den nächsten Tag gewesen. Dementsprechend ist das letzte Boot des Tages auch rappelvoll. Doch abbrechen kommt für uns nicht infrage. Wir kriechen – mit einem etwas mulmigen Gefühl zwar – in unsere Zelte und sind gespannt, wie sich 130 km/h Wind wohl anfühlen.
Tag 6: Grey –> Francés
Gegen 4 Uhr wache ich vom Wind auf. Es bläst ordentlich da draußen und die Zeltstangen biegen sich bedrohlich. Immer wieder zieht ein Schauer durch und ich bin überrascht, dass wir hier drin noch so trocken sind. Dann, wenn ich gerade denke, dass das Schlimmste jetzt wohl vorüber ist, kommt eine neue Böe und drückt das Zeltdach fast auf den Boden. Doch das Zelt hält. Und wir halten auch. Wir machen uns so gut es geht im Zelt fertig und packen alles zusammen, bevor wir uns raus wagen. Das Zelt packen wir auch direkt zusammen, um Schlimmeres zu vermeiden. Im Aufenthaltsraum treffen wir auf andere, die wohl während der Nacht nach drinnen umgezogen waren und dort ihre Isomatten ausgerollt haben. Doch im Großen und Ganzen haben es alle gut überstanden und um ehrlich zu sein, kamen wohl auch die stärksten Böen nicht an die vorhergesagten 130 km/h ran. Der Wind wird über den Morgen hin schwächer, doch der Regen hält sich und so wandern wir, so gut es geht gegen Regen geschützt, los. Nach nur wenigen Metern überholt uns ein Ranger mit einem „Trail closed“-Schild unter dem Arm. Wenig später erfahren wir auch, um welchen Trail es sich handelt, als wir vor dem gesperrten Weg um den Lago Sköttsberg stehen. Es gibt hier zwei Wege, auf jeder Uferseite einer, um die Wanderströme besser zu verteilen. In unsere Richtung hätten wir eigentlich den Weg zu unserer Rechten nehmen sollen, doch der ist gesperrt, da der Wind immer noch sehr stark weht und das Wasser des Sees zum fliegen bringt. Wir nehmen also die Luv-Seite und bekommen so wenigstens nur den Regen, nicht aber noch die Wassermassen des Lago Sköttsberg ins Gesicht.
Vereinzelt kommen uns Wanderer entgegen. Doch viele sind heute nicht unterwegs. Gegen Ende staut es sich dann aber doch ein bisschen, denn der Weg ist großflächig überschwemmt und alle versuchen, möglichst trockene Tritte zu finden. Doch ohne nasse Füße kommt hier kaum jemand durch. Zum Glück haben wir es nicht mehr weit bis zum Camp Francés. Da der Weg ins Britanico-Tal und zum dortigen Aussichtspunkt gesperrt ist, ist unsere heutige Etappe wider Erwarten recht kurz und wir sind schon vor 12 Uhr am Camp. Check-in beginnt erst am Nachmittag. Anders als die Camps bisher sind die Zelte im Camp Francés sehr weitläufig über einen Hang verteilt. Dazwischen finden sich mehrere kleine Hütten, die als Aufenthaltsraum und zum Kochen dienen. Wir finden eine leere Hütte und belagern sie fürs Mittagessen. Das gibt uns auch die Gelegenheit, unsere nassen Sachen zu trocknen. Als wir dann später einchecken können – wir haben diese Nacht wieder Premium – erfahren wir, dass unsere beiden Zelte direkt neben der Hütte liegen, die wir eh schon in Beschlag genommen haben. Glück gehabt, so können wir alles gleich dort lassen. Das Camp bietet auch ein kleines Bistro und äußerst moderne Duschen, der Nachmittag ist also gerettet.

Tag 7: Francés –> Central
Es prasselt noch ordentlich, als wir aus dem Zelt kriechen. Noch vor Sonnenaufgang wollen wir los und heute versuchen, ins Britanico-Tal zu kommen. Wir haben die Hoffnung, dass der Weg, der gestern noch gesperrt war, heute wieder offen ist. Das bedeutet, eine halbe Stunde wieder zurückzulaufen, um dort den Abzweig zu nehmen. Wir wollen rechtzeitig los, denn unsere geplante Etappe wollen wir anschließend ja auch noch schaffen. Unsere Rucksäcke lassen wir erst noch im Camp und laufen mit leichtem Gepäck los. Dementsprechend kommen wir schnell voran. Auch hat es mittlerweile endlich aufgehört, zu regnen. Nach einer halben Stunde erreichen wir das Camp Italiano, den Ausgangspunkt zum Britanico-Tal. Noch bevor wir richtig dort sind, erkennen wir, dass der Weg weiterhin gesperrt ist. Wir klopfen an der Rangerstation und scheuchen wohl einen Park-Ranger aus dem Bett. Auf Nachfrage erlaubt er uns, einen Teil des Weges zu gehen. Aber weit werden wir nicht kommen, sagt er, denn aufgrund des vielen Regens sind die Bäche, die man sonst einfach zu Fuß überqueren kann, zu einem unüberwindbaren Hindernis angeschwollen. Wir wollen es trotzdem versuchen. Die Sonne geht gerade auf und taucht die Berge in ein tiefes Orange. Die Aussicht ins Tal und auf den Lago Nordenskiöld ist umwerfend. Aus der anderen Richtung, aus dem Tal, hören wir es immer wieder donnern: große Eisblöcke, die vom Gletscher abbrechen und als Lawinen ins Tal gehen. Zunächst kommen wir noch relativ gut trockenen Fußes durch den Wald. Dann wird der Boden nässer und nässer, bis wir schließlich praktisch in einem Bach laufen. Bald kommen wir zu der besagten Flussüberquerung und nachdem wir etwas oberhalb und unterhalb des Weges gecheckt haben, steht ziemlich schnell fest, dass wir hier nicht weiterkommen. Die Aussicht genießen wir trotzdem.
Zurück im Camp Francés picken wir unsere Sachen wieder auf und machen uns auf die eigentliche Etappe für heute. Es geht ein bisschen bergauf, bevor wir bis zum Ufer des Lago Nordenskiöld absteigen und an einem kleinen Kiesstrand entlanglaufen. Auch hier ist der Weg teilweise komplett überschwemmt. Mittlerweile regnet es auch wieder. Nach knapp zwei Stunden erreichen wir das Camp Los Cuernos. Zeit für ein Mittagessen. Wir sind froh, drinnen im Aufenthaltsraum sitzen zu können. Anschließend geht es wieder bergauf und dann noch eine ganze Weile entlang des Lago Nordenskiöld. Für die letzten Kilometer führt der Weg landeinwärts und bald erblicken wir den Sektor Central, wo wir vor sieben Tagen gestartet sind. Das letzte Stück zieht sich dann noch ein bisschen und einige Bäche müssen wir auch noch überqueren. Dann kommen wir am Hotel Las Torres vorbei und etwas dahinter dann zum Camp Central. Auch für diese Nacht haben wir noch einmal ein Premiumzelt. Es liegt am Rand des Zeltplatzes neben einem kleinen Parkplatz. Auf einmal kommt unsere Zeltnachbarin ganz aufgebracht angerannt und berichtet, sie hätte einen Puma auf dem Parkplatz gesehen. Ich schnappe meine Kamera und halte Ausschau. Und tatsächlich, dort auf dem Hügel hinter unserem Zelt schleicht ein Puma. Ich bekomme ihn gerade noch zu Gesicht, bevor er im Dickicht verschwindet.
Tag 8: Central –> Torres
Der letzte Tag unserer Wanderung beginnt dann noch einmal früh. Wir wollen zum ikonischsten Lookout des Nationalparks, der Laguna las Torres, mit den drei Granittürmen im Hintergrund. Wir hören von einigen anderen Wanderern, dass sie bereits zum Sonnenuntergang dort sein wollen und dementsprechend schon um 4 Uhr morgens losgehen. Das ist uns dann doch etwas zu früh. Wir beschließen, gegen 7 Uhr loszulaufen, um wenigstens den Tagestouristen zuvorzukommen, die um 9 Uhr mit dem Bus ankommen. Und damit liegen wir goldrichtig, wie sich später zeigen wird.

Es dämmert, als wir loslaufen, und nachdem wir die ersten Höhenmeter geschafft haben, blicken wir zurück in eine Landschaft, die von der gerade aufgehenden Sonne in ein fantastisches Licht getaucht wird. Nach einer Stunde steigen wir wieder einige Höhenmeter hinunter in die Talsohle, wo wir auch das Camp Chileno passieren. Um diese Uhrzeit sind relativ wenig andere Wanderer unterwegs. Im nachfolgenden Waldstück kommen uns dann mehr und mehr Leute entgegen, die schon wieder auf dem Rückweg sind. Nach einer weiteren Stunde lassen wir den Wald hinter uns und begeben uns auf das letzte und auch schwierigste Stück der Tour. Über ein Steinfeld geht es relativ steil bergauf. Immer wieder lassen wir entgegenkommende Wanderer durch, denn stellenweise ist der Weg recht schmal. Weiter oben liegt dann auch eine dünne Eisschicht auf dem Boden. Wir kommen mit anderen Wanderern ins Gespräch, die berichten, wie sie sich hier im Dunkeln hochgekämpft haben, und wir sind froh, das nicht gemacht zu haben. Und noch einen weiteren Vorteil hat unser Plan: Als wir nach weiteren 1,5 Stunden endlich oben ankommen, haben wir die Lagune fast für uns alleine. Nur eine Handvoll andere Personen ist dort oben, denn die, die zum Sonnenaufgang da waren, sind schon wieder weg und die anderen sind noch nicht da.
Nachdem wir uns kurz vom Aufstieg erholt und mit Schokolade gestärkt haben, können wir den Ausblick so richtig genießen. Vor uns schimmert die Lagune, dahinter ragen die Torres empor, vor strahlend blauem Himmel. Genau so haben wir uns das vorgestellt, doch hatten wir nach unseren Erfahrungen mit dem patagonischen Wetter teilweise daran gezweifelt, es noch hierhin zu schaffen und die Torres auch zu sehen. Wir können uns kaum losreißen von diesem traumhaften Anblick. Erst als uns der Wind dann doch zu kalt wird und immer mehr Leute eintrudeln, beschließen wir, den Rückweg anzutreten. Und jetzt zeigt es sich nochmal umso mehr, welches Glück wir hatten, denn nun strömen die Leute in Massen an. In kürzester Zeit müssen über 100 Menschen dort oben sein. Zufrieden und mit vielen tollen Erinnerungen im Gepäck laufen wir den gleichen Weg zurück, den wir gekommen waren. Unterwegs machen wir noch eine Pause für unser letztes Trail-Mittagessen.

Zurück im Camp heißt es dann, die restlichen Sachen zusammenpacken. Dann geht es nach einem kurzen Stopp im Souvenirladen mit dem Bus zurück nach Puerto Natales. Zwar hatten wir eigentlich erst den Bus um 20 Uhr gebucht, doch glücklicherweise treffen wir auf einen Busfahrer, der einen leeren Bus zurück nach Puerto Natales fährt und so freundlich ist, uns mitzunehmen. So sparen wir uns ein paar Stunden Wartezeit und es bleibt noch Zeit für Abendessen in Puerto Natales.
So geht eine sehr ereignisreiche Woche im Torres-del-Paine-Nationalpark zu Ende. Wir hatten eine unglaubliche Zeit in dieser einzigartigen Natur und das Gebiet zu bewandern, gibt einem noch mal ein ganz anderes Gefühl, wie groß und mächtig die Natur um uns rum ist. Das stelle ich dann auch nochmal fest, als ich auf dem Rückflug von meinem Fensterplatz das Paine-Massiv von oben sehe und genau nachvollziehen kann, wo uns der Weg langgeführt hat. Ein unvergessliches Erlebnis!
Für mich geht es nun alleine weiter. Ich habe noch zweieinhalb Wochen in Chile und möchte mir zunächst den nördlichen Teil von Patagonien anschauen, dann weiter in den Norden reisen. Für die anderen geht es zurück nach Viña del Mar, bzw. für Zoé in den Norden Chiles.































