Tatsächlich lässt der Regen am frühen Morgen nach. Nach einem sehr ausgiebigen Frühstück (Porridge mit Granola, Nüssen, Obst und Marmelade) machen wir uns auf den Weg. Zunächst geht es entlang der Straße, auf der uns jedoch nur zwei Autos begegnen, die Arbeiter zu ihrem Arbeitsplatz entlang der neugebauten Stromtrasse bringen. Nach etwa fünf Kilometer verlassen wir die Straße und biegen links auf einen Wanderweg ab, der uns geradewegs in Tal führt. Ziemlich steil geht es 200 Höhenmeter bergab, nur um auf der anderen Seite des Tals wieder emporzuklettern. Der Wanderweg führt meist in der Nähe der Stromtrasse entlang. Auf den Strommasten entdecken wir immer wieder Arbeiter, die Kabel befestigen, hin und wieder sehen wir den Hubschrauber, der neues Arbeitsmaterial bringt. Das Kraftwerk im Lysefjord ist bedeutend für die Stromproduktion in der Region. Die neue Stromtrasse ermöglicht den Transport von mehr Energie vom Kopfende des Fjords in die Metropolregion Stavanger/Sandnes.
Durch den vielen Regen der Vortage ist der Boden recht matschig. Die schweren Maschinen, die zur Errichtung der neuen Strommasten im Einsatz waren, tragen auch nicht gerade dazu bei, dass der Weg gut zu gehen ist. Also suchen wir uns unseren Weg durch kleinere Bachläufe, Matschfelder, und fast sumpfig anmutende Wiesen, immer dem roten ’T’ nach. Mehrmals stecken wir knöcheltief im Matsch. Nicht selten gehen wir wieder ein paar Schritte zurück, um einen alternativen Weg zu finden. Über die Warnschilder, die uns nach einigen Kilometern begegnen und vor ‘Soft Ground’ warnen, können wir nur lachen. Eine Flussdurchquerung ermöglicht uns, den Schlamm wieder von den Schuhen zu waschen, doch es hält nicht lange und wir waten erneut durch tiefen Matsch. Längst haben wir es aufgegeben saubere und trockene Füße behalten zu wollen.
Nach 14km erreichen wir die Wanderhütte in Songedalen. Wir sind die einzigen an der unbemannten Wanderhütte und beschließen fürs Abendessen dort zu bleiben. Wir nutzen die Gelegenheit, am Kamin unsere Kleidung zu trocknen und uns wieder aufzuwärmen. Zwar gäbe es in der Hütte auch Betten, doch wir beschließen nach dem Abendessen noch einige Kilometer zu gehen. Mittlerweile sind wir an einer Schotterpiste angelangt, die uns bald auf eine befestigte Straße führt. Also kommen wir gut voran und schaffen vor dem Einbruch der Dunkelheit noch knapp 7km bis Songesund Kai, direkt am Fjord.
Als wir am nächsten Morgen aus dem Zelt treten, blicken wir in das tiefblaue Wasser des Fjords, das im prallen Sonnenschein glitzert. Die ersten zwei Kilometer gehen entlang des Fjordufers. Easy, denken wir, doch da haben wir noch nicht die leiseste Ahnung, was uns heute erwartet.
Für die zwei Kilometer brauchen wir ganze drei Stunden. Mehr kletternd als wandernd kämpfen wir uns voran. Wir sind froh, wenn wir fünf Schritte normal gehen können, alle anderen Schritte gehen über mal größere, mal kleiner Steine und entlang Felswänden. Wenn wir Glück haben erwartet uns an den schwierigsten Passagen ein Seil oder eine Kette, meistens sind wir jedoch auf unser eigenes Geschick angewiesen. Nicht selten zweifeln wir, noch auf dem richtigen Weg zu sein (wenn man überhaupt von Weg sprechen kann), doch das rote ’T’ taucht immer wieder auf und motiviert uns, weiterzugehen. An einer schrägen Felswand, die nur mit Hilfe einer Kette zu überqueren ist, kommt uns ein anderer Wanderer entgegen. Wir lassen ihn passieren. ‘I’m still alive’, stöhnt er, als er an uns vorbeikommt. Und das grenzt bei diesem Weg wirklich an ein kleines Wunder. Neben uns geht es geradewegs in den Fjord.
Kurz vor Bakken Kai, dem nächsten Fähranleger führt der Weg nach oben. Wir sind froh um die Abwechslung. Gefühlt kommen wir schneller voran, auch wenn es nun ziemlich steil nach oben geht. Auf 170 Höhenmetern liegt Bakken Gard, eine weitere Wanderhütte. Hier machen wir Pause fürs Mittagessen. Am Nachmittag geht es dann immer weiter hinauf, bis wir irgendwann den Bergkamm erreichen. Der Ausblick in den Fjord ist unglaublich beeindruckend und entschädigt für den harten Aufstieg. Gegen 18 Uhr erreichen wir einen kleinen See. Wir gönnen uns eine Pause, um schwimmen zu gehen. Das Wasser ist sehr erfrischend, doch die Abkühlung tut sehr gut. Mit neuer Motivation wandern wir weiter. Das Ziel war es, kurz vor dem Preikestolen, dem Highlight der Tour, zu campen, um an nächsten Morgen früh dorthin aufzubrechen. Doch das wären noch 4km und mit der Erfahrung des heutigen Tages und gerade einmal 7km hinter uns, bezweifeln wir stark, dass wir es noch vor Dunkelheit bis dorthin schaffen. Also wandern wir so weit wir kommen. Auf einem Felsplateau in einem Tal finden wir einen passenden Zeltplatz und schlagen unser Lager für dich Nacht auf. Es ist ein unwirklicher Ort mit hohen Felswänden rund herum, einem Wasserfall in etwas Entfernung, und kleineren Seen und Tümpeln unter uns im Talsockel. Nach dem Abendessen schlüpfen wir in unsere Schlafsäcke und stellen den Wecker auf 5 Uhr – kurz vor Sonnenaufgang.